Wettkampf um Literaturnobelpreis

Seit der schwedische Jury-Chef Horace Engdahl letzte Woche wie ein aufgeputschter Fußballtrainer die US-Literatur in Bausch und Bogen als zweitklassig, isoliert und vom Massengeschmack abhängig attackiert hat, drehen sich die Spekulationen vor allem um die Frage: Europa oder USA?
Als aussichtsreiche Anwärterin für die Vergabe durch die Schwedische Akademie am Donnerstag wird jetzt überraschend auch die Berliner Autorin Herta Müller (55) genannt.
An die in Rumänien geborene Deutsche könnte Engdahl gedacht haben, als er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP Europa zum "literarischen Zentrum der Welt" erklärte. Während Literaturfreunde in aller Welt den Kopf über derlei summarische und päpstlich klingende Urteile ausgerechnet kurz vor der Entscheidung der Jury schüttelten, bissen die Nobel-Spekulanten begeistert an: Hat Engdahl am Ende nur geblufft und die Schwedische Akademie in Wirklichkeit längst einen US-Namen wie Don DeLillo (71), Thomas Pynchon (71), John Ashbery (81) oder Philip Roth (75) in trockenen Tüchern?
Die Statistik der vergangenen Jahre spricht eher dafür, dass Engdahl schlicht meinte, was er da an seltsamen Zensuren für die Kontinente verteilt hat. Seit seinem Amtsantritt 1999 ging der begehrteste Literaturpreis der Welt sieben Mal an Europäer und nur zwei Mal an andere. Im vergangenen Jahr erhielt die Britin Doris Lessing (88) den Zuschlag, konnte sich aber altersbedingt weder das Diplom noch die Dotierung von zehn Millionen schwedischen Kronen (eine Million Euro) bei König Carl XVI. Gustaf abholen.
Sollte bei der nächsten feierlichen Verleihung am 10. Dezember tatsächlich erneut ein europäischer Name aufgerufen werden, gelten der Italiener Claudio Magris (69) und der portugiesische Dauerfavorit António Lobo Antunes (66) als Spitzenduo im Favoritenfeld. Außenseiter, die man nicht übersehen sollte, obwohl sie weder Europäer noch Amerikaner sind, in diesem Jahr der syrisch-libanesische Lyriker Adonis (78) und sein Kollege Ko Un (75) aus Südkorea.
"Die Akademie wählt am liebsten einen Europäer", schrieb die Stockholmer Zeitung "Dagens Nyheter". Das verstärkte noch mal den Hauch von Ryder-Cup, dem Kontinentalmatch zwischen Spitzengolfern aus den USA und Europa, über dem diesjährigen Literaturnobelpreis. Hier hatten im letzten Jahrzehnt auch die Europäer meistens die Nase vorn. Zuletzt allerdings gewannen die USA.
Die Zocker glauben nicht, dass Engdahl mit seiner Schelte über den Atlantik geblufft hat. Beim Wettbüro Ladbrokes lagen am Mittwoch mit Claudio Magris, Adonis und dem Israeli Amos Oz (69) drei Nicht-Amerikaner vorn auf den Tipplisten. Aber so richtig sicher sind sich auch die Rater mit Geldeinsatz nicht: Auf den Plätzen vier bis sechs folgen mit Joyce Carol Oates (70) und Roth sowie DeLillo drei US-Romanciers.

Europa gegen USA: Wettkampf um Literaturnobelpreis

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