Das Theater Hagen zeigt Tennessee Williams "Endstation Sehnsucht" als Oper in der Vertonung von Andre Previn

Das Theatergebäude

Die grelle Neondecke drückt auf das ärmliche Zimmer wie ein tonnenschweres Gewicht. Das ist wirklich „Endstation Sehnsucht”, eine Wohn-Hölle, in der die Gewalt regiert. Tennessee Williams gleichnamiger Schauspielklassiker ist in der Opernfassung von André Previn jetzt im Theater Hagen mit anhaltendem Beifall im Stehen gefeiert worden: Der gilt einer ebenso sensiblen wie klugen Regie und einem wunderbaren Ensemble. Hagen zeigt das Stück in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln.

Auf den ersten Blick sollte man meinen, dass sich kaum ein Schauspiel weniger für eine Musiktheater-Adaption eignet als „A Streetcar Named Desire”. Denn das Kammerspiel ist stringent dialogisch aufgebaut und lässt kaum Raum für Reflexion, wovon die Oper ja lebt. Dennoch ist dem Filmkomponisten, Pianisten, Dirigenten und Jazz-Musiker André Previn 1998 eine faszinierende Partitur gelungen, geschrieben übrigens für Reneé Fleming, dichte, beklemmende Klänge, die der Tragödie zusätzliche Qualität verleihen.

Generalmusikdirektor Florian Ludwig leuchtet mit den hochmotivierten Hagener Philharmonikern den Notentext ebenso sorgfältig wie differenziert aus und entwickelt einen farbensatten psychologischen Orchesterkommentar, der im Sinne von Alban Berg tatsächlich zum gleichsam an die ganze Menschheit gerichteten Appell wird. Das Alt-Saxophon steuert Blues-Akzente bei, und die Trompeten-Klagen gleichen dem Aufschrei der gequälten Seele - auch wenn diese Soli beim Versuch, sie jazzig-verschleppt zu spielen meistens verunglückt sind. Regisseur Roman Hovenbitzer hat in Hagen bereits mit „Dead Man Walking” ein gefeiertes Meisterstück abgeliefert. Bei „Endstation Sehnsucht” zeigt sich erneut sein enormes Talent, eine Geschichte schlüssig und mehrschichtig zu erzählen und gleichzeitig die Sänger taktgenau zu führen. Bühnenbildner Jan Bammes hat eine Wohnküche gebaut, die an Trostlosigkeit nicht zu überbieten ist. Hier strandet die vormalige Plantagenprinzessin Blanche Dubois bei ihrer Schwester Stella, die einen Einwanderer geheiratet hat. Nur wenn Blanche aus der Realität flieht, hebt sich die bedrückende Neondecke und ein luftiger Vorhang sorgt mit Videoprojektionen für Weite zum Sehnen und Erinnern.

Die große Sopranistin Dagmar Hesse liefert als Lehrerin Blanche eine unglaublich beeindruckende Leistung. Sie singt diese kaputte Frau mit einer packenden Vielfalt an stimmlichen Ausdrucksnuancen. Ihre Blanche ist zart, aber zornig, dünkelhaft und obsessiv. Doch immer lässt Dagmar Hesse die tragische Verletzlichkeit dieser Figur aufscheinen, wie sie in der wohl bekanntesten Arie der Oper „I want magic” hörbar wird.

Frank Dolphin Wong trifft mit seinem dunklen Bariton den Charakter von Stanley Kowalski genau und zeigt Stellas Mann als Proleten, der sich von klugen Frauen bedroht fühlt und Probleme entweder mit Sex oder mit Gewalt löst, was für ihn so ziemlich dasselbe ist. Frank Dolphin Wong treibt Blanche mit einer Bosheit in den Wahnsinn, die gesungen viel mehr erschüttert als im Schauspiel.

Stefania Dovhan singt mit engelsgleichem Sopran Blanches Schwester Stella, deren Überlebensstrategie darin besteht, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Und Dominik Wortig legt seinen Mitch mit empfindungsreichem Tenor als einsamen, liebevollen und leider für Verrat anfälligen Charakter an. Die Inszenierung und vor allem die Ensembleleistung zeigen das ungeheure künstlerische Potenzial des durch Sparzwang an die Grenze getriebenen Hagener Theaters. Unbedingt sehen.

Wieder am 7., 19., 29. Oktober, 5. November.

Der Westen Kultur

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