Der Schriftsteller Johannes Mario Simmel starb im Alter von 84 Jahren in der Schweiz

Literatur: Johannes Mario Simmel gestorben
© ZEIT online, Tagesspiegel 02.01.2009 18:30

Er war jahrzehntelang Deutschlands populärster Schriftsteller. Seine rund 35 Romane und Erzählungen erschienen weltweit in einer Auflage von mehr als 73 Millionen in 33 Sprachen, Millionen Menschen sahen auch die Verfilmungen. Am Neujahrstag starb Johannes Mario Simmel im Alter von 84 Jahren in der Schweiz.

Die literarische Anerkennung seines Werks blieb dem Autor bis zu seinem Lebensende versagt. "Bestenfalls gehobene Trivialliteratur", so beurteilten die meisten Kritiker seine Romane. Eine Einschätzung, die den gelernten Chemoingenieur und erfolgreichen Journalisten - wie er später einmal bekannte - durchaus gekränkt hat.

Immerhin attestierte ihm einst der Kritiker-Papst Marcel Reich-Ranicki: "Simmel hat wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor einen fabelhaften Blick für Themen, Probleme, Motive." Fast 60 Jahre lang schrieb Simmel, was der Zeitgeist ihm vorgab; und seine Leser verschlangen förmlich, was sein Verlag - meist in der für Simmel- Romane üblichen grellen Aufmachung und Hunderte Seiten stark - in die Buchhandlungen stellte. Nachkriegsdeutschland oder Berliner Mauer, Alkohol, Drogen, Genmanipulation oder Organspenden; ja sogar die geheimen Gefahren durch die Welt des Cyberspace waren seine Themen. Sein vielleicht berühmtestes Werk aber blieb einer seiner frühen Romane: "Es muss nicht immer Kaviar sein".

Sein Ziel: Menschen aufklären

Stets bis ins Detail sehr gut recherchiert und angereichert mit einer Portion Erotik, rissen sich seine Leser jahrzehntelang förmlich nach jedem "neuen Simmel". Insgesamt stand er mit elf seiner Romanen erheblich länger auf der Bestsellerliste des "Spiegel" als etwa die Nobelpreisträger Heinrich Böll oder Günter Grass. Dabei hatte die schriftstellerische Arbeit des gebürtigen Wieners ein Konzept. Sein Ziel war es, Menschen aufzuklären. "Schönschreiberei", so gestand er, führe letztlich zu Nichts.

Ursprünglich, so erzählte Simmel, habe er "gedacht, man müsse so schön schreiben wie Rimbaud, Verlaine und Rilke zusammen", doch dann sei ihm bewusstgeworden: "Man muss den Leuten erzählen, was geschehen ist, verpackt in Romane." Er habe "das betrieben, was Norman Mailer "faction" genannt hat, eine Mischung aus Fiktion und Fakten". Vor allem politische Aufklärung war sein Ziel. Dafür erhielt er letztlich 1991 auch einen Preis der Vereinten Nationen. Sein ganzer Eifer richtete sich bis ins hohe Alter vor allem gegen den wiederaufkommenden Rechtsradikalismus. Sein Hass auf Neonazis schien mit jedem Lebensjahr zuzunehmen.

Von der Chemie zur Literatur

Simmel wurde am 7. April 1924 in Wien geboren, einer Stadt, zu der er bis zu seinem Tod ein zwiespältiges Verhältnis hatte. Sein aus Hamburg stammender Vater, ein Chemiker, war Jude, der im letzten Moment vor den Nazis nach London fliehen konnte, wo er jedoch kurz vor Kriegsende starb. Fast alle Verwandten väterlicherseits wurden von den Nazis ermordet. Simmel selbst blieb mit seiner Mutter, die als Lektorin in einem Filmverleih war, während des Kriegs in Wien.

Hier arbeitete er noch kurz vor Kriegsende in einem kleinen Chemiebetrieb an der Entwicklung von Batterien, die angeblich in deutschen Raketen zum Einsatz kommen sollten. Doch schon während dieser Jahre begann der junge Simmel zu schreiben: Bereits mit 17 veröffentlichte er seinen ersten Novellenband. Nach dem Krieg führte der Journalismus Simmel durch die ganze Welt. Als gut bezahlter Reportagenschreiber für die Illustrierte "Quick" sammelte er Eindrücke, die er später in seinen Romanen verwerten würde.

Der Durchbruch kam 1960

Er habe in dieser Zeit "viel Unrecht, Gemeinheit und Niedertracht gesehen", schrieb er später über diese Wanderjahre. Schon damals galt Simmel als absoluter Vielschreiber, der seine erfolgreichen Artikel gleich unter mehreren Synonymen veröffentlichte. "Nebenbei" verfasste er in den 1950er Jahren noch 17 Drehbücher; die Mehrheit eher trivial. Simmels Durchbruch kam mit seinem großen Agentenroman "Es muss nicht immer Kaviar sein" (1960), der ebenso verfilmt wurde wie "Lieb Vaterland, magst ruhig sein" (1965), "Und Jimmy ging zum Regenbogen" (1970), "Der Stoff, aus dem die Träume sind" (1971), oder "Liebe ist nur ein Wort" (1971). Insgesamt 18 verfilmte Simmel-Romane kamen immerhin im deutschsprachigen Raum in die Kinos.

Sein Werk umfasst 27 Romane, fünf Bände mit Erzählungen und sechs Kinder- und Jugendbücher. Sein einziges veröffentlichtes Drama, "Der Schulfreund" aus den Jahren 1958-60 (verfilmt mit Heinz Rühmann), blieb weitgehend unbekannt.

Offener Pessimismus

War Simmels Moral in den ersten Jahrzehnten seines Schaffens von Optimismus geprägt, so verdüsterte sich sein Weltbild zunehmend in den 1990er Jahren. Sein ursprüngliches Motto: "Tun wir unser Möglichstes, mehr als Scheitern kann der Mensch nicht" - wich mit jedem neuen Roman immer mehr offenerem Pessimismus. "Ich habe das Empfinden, dass es nur mehr eine Eiseskälte zwischen den Menschen gibt", meinte er 2001 in einem Interview mit einer Wiener Zeitung. "Ich will gar nicht von Liebe reden, aber von Nächstenliebe ist keine Spur mehr vorhanden. Es herrscht wirklich eine Ich-Bezogenheit, wie sie noch nie da war, die zu einer Katastrophe führen muss."

2001 veröffentlicht er den Texte-Band "Die Bienen sind verrückt geworden", dessen Untertitel alles ausdrückte: "Reden und Aufsätze über unsere wahnsinnige Welt". Die Wandlung wirkte sich auch auf seinen Schreibrhythmus und die Themen aus. Mit seinem kleinen Erzählungsband "Der Mann, der die Mandelbäumchen malte" (1998) wich Simmel erstmals deutlich vom Erfolgsschema ab.

Produzierte der im schweizerischen Zug lebende Bestseller-Autor in den 1960er und 1970er Jahren fast jährlich einen Bestseller, so wurden die Abstände zwischen seinen neuen Romanen ab 1990 immer größer. Dabei behinderte ihn auch eine Verletzung, die er sich bei einem Sturz in seinem Garten zuzog. Simmel zog sich in der Folge immer mehr zurück, empfing nur noch wenige Besucher. Ja, Simmel schreibe noch, konnte man aus seinem Verlag bei Anfragen erfahren: "Aber wir wollen ihn nicht drängen!"

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