Von M. Dowideit, J. Eigendorf und V. Unterreiner in der Welt
Was als Immobilienkrise in den USA begann, sich dann in der globalen Bankenwelt wie eine Seuche ausbreitete, erreicht nun souveräne Staaten. Ungarn und die Ukraine wollen jetzt vom Internationalen Währungsfonds gestützt werden. Und auch Euroländer zittern.
Als Dominique Strauss-Kahn im November 2007 an die Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) trat, da gab es kaum jemanden, der den früheren französischen Finanzminister um seinen Job beneidete. Das hatte nicht etwa damit zu tun, dass der Ruf des IWF als Feindbild aller Globalisierungsgegner weiter gelitten hätte. Nein, es war viel schlimmer: Der Fonds galt inzwischen als völlig irrelevant, denn dem IWF waren schlichtweg die Kunden weggelaufen. Kaum noch ein Staat weltweit rief nach der Einsatz der Feuerwehrtruppe aus Washington. Zu gut schien es der Weltwirtschaft zu gehen, als dass irgendjemand noch den erniedrigenden Gang nach Washington würde antreten müssen.
Jetzt stehen sie Schlange. Island, Ungarn, Ukraine, Pakistan – ein Land nach dem anderen klopft beim IWF an, um sich eine Milliardeninfusion abzuholen. Nicht einmal Weißrussland unter seinem erzreaktionären Präsidenten Lukaschenko scheut sich, die Bretton-Woods-Institution um Hilfe zu bitten.
Und es werden noch mehr werden. Die Finanzkrise hat ihre dritte große Etappe erreicht. Was als Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten begann, sich dann in der globalen Bankenwelt wie eine Seuche ausbreitete, erreicht nun die souveränen Staaten. Auch sie können sich nicht mehr gegen den Herdentrieb an den internationalen Finanzmärkten wehren. Alle Länder, die eine negative Leistungsbilanz ausweisen, grob gesagt also mehr Waren und Dienstleistungen importieren als exportieren, drohen in die Bredouille zu geraten. Rumänien gilt als nächster Kandidat. Und sogar Länder in der Eurozone wie Griechenland oder Spanien könnten Turbulenzen bevorstehen.
Denn niemand will mehr das Loch in der Bilanz finanzieren. „Die Akteure an den Finanzmärkten beginnen jetzt ein neues Spiel“, sagt Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI). „Nach den Banken fassen sie nun erste Länder ins Auge und spekulieren dabei auf die Reaktion der Politik.“
Private Kapitalzuflüsse sind gestoppt
Die privaten Kapitalzuflüsse in die aufstrebenden Volkswirtschaften sind abrupt gestoppt, die Milliarden fließen so schnell ab, wie sie die ausländischen Banken, Fonds und Investoren nur abziehen können. Jeden Tag gibt es neue Beweise, dass die Märkte verrückt spielen. Wer sich am Montag gegen einen Ausfall auf russische Staatsschulden versichern wollte, musste dafür mehr zahlen als für Kreditversicherungen gegen einen Konkurs Kolumbiens oder Panamas. Und das, obwohl das Land Ende August dieses Jahres noch über Devisenreserven von 568 Milliarden Euro verfügte. „Der Angstfaktor kennt keine Grenzen mehr“, sagt ein IWF-Ökonom, der schon die Russland- und die Asienkrise vor zehn Jahren genau verfolgt hat. „Es finden die gleichen Prozesse wie damals statt. Nur dass es diesmal weltweit passiert.“
Doch längst sind es nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen, die es trifft. Die Einschläge rücken immer näher an die Eurozone heran. Galt Island noch als Ausnahmefall, als es vor knapp einen Monat de facto den Staatsbankrott erklären musste, so erreichte die Krise mit Ungarn die erste Volkswirtschaft in der Europäischen Union. Auch die baltischen Staaten sind extrem abhängig von ausländischen Krediten, so dass Zahlungsprobleme programmiert sind. Und mit Dänemark musste die Europäische Zentralbank am Montag ein Nachbarland gleich mit zwölf Milliarden Euro unterstützen, damit die Regierung das heimische Bankensystem am Leben halten kann.
Der Euro wirkt wie ein Klebeband
Angesichts der dramatischen Entwicklung lässt sich leicht vorstellen, was im Europäischen Währungsverbund los wäre, wenn es den Euro nicht gäbe. Einhellig sind Ökonomen der Meinung, dass die D-Mark in die Höhe geschossen wäre, während gerade die Währungen der Mittelmeerländer kräftig unter Druck gerieten. Doch das ist nun nicht mehr möglich. Der Euro wirkt wie ein Klebeband, das den Kollaps eines seiner Mitglieder weitaus unwahrscheinlicher macht: „Der Zusammenhalt in der Währungsunion sorgt für einen stützenden Effekt“, sagt Klaus Abberger vom Ifo-Institut in München. So krisenresistent scheint die Eurozone bislang, dass in ihren Hauptstädten bereits darüber nachgedacht wird, ob nicht kurzerhand die Eurozone erweitert werden könnte. Denn dann wären beispielsweise Währungsspekulationen gegen Dänemark oder die baltischen Staaten ausgeschlossen.
Doch den Zentralbankern im Eurotower und der Deutschen Bundesbank läuft bei solchen Szenarien der Angstschweiß über die Stirn: „Wir sind nicht die Lösung des Problems“, heißt es in Notenbankkreisen, „sondern wir haben selbst eins. Wir sind nicht dafür da, die Politik-Defizite auf nationaler Ebene zu kompensieren.“
Dabei ist es keinesfalls der drastische Fall des Eurokurses in den vergangenen Wochen, der den Notenbankern Sorgen bereitet. Angesichts fallender Ölpreise sind die Inflationsgefahren weitaus geringer geworden, so dass ein Verfall der Wechselkurse kaum schmerzt. Vielmehr ist es der Blick in die Zahlungsbilanzen, der die Krisenangst schürt. Ein Land wie Griechenland kam in den vergangenen zwölf Monaten auf ein Leistungsbilanzdefizit von 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 67,2 Milliarden Dollar an Kapitalzuflüssen benötigte das Land, um seine Importe zu finanzieren. Eine nicht mehr haltbare Summe: Zuletzt soll die Regierung dem Vernehmen nach bereits Schwierigkeiten gehabt haben, auslaufende Altschulden zu refinanzieren. Auch in Spanien und Belgien sieht es mit einem Minus von knapp zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt denkbar düster aus.
Die Sorgen sitzen tief
Doch was passiert, wenn eine Volkswirtschaft wie Griechenland auf einmal in eine ähnliche Situation geraten sollte wie zuletzt die isländische? Niemand will offen darüber reden. Doch sind Finanzminister und Notenbanker der Eurozone zutiefst besorgt über diesen Ernstfall. Zwar gibt ihnen der EG-Vertrag eine eindeutige Handlungsanleitung vor: Danach darf die EZB keinem Staat der Eurozone zur Hilfe eilen, wenn der Bankrott droht. Doch niemand glaubt mehr ernsthaft daran, dass man einen Staat fallen lassen könne, wenn man nicht einmal eine amerikanische Investmentbank oder eine deutsche Landesbank in den Abgrund gehen lassen kann.
Wenn aber die Notenbank nicht einspringen darf, bleiben Kredite vom IWF – und der anderen europäischen Staaten. Doch ist das realistisch? Im Ernstfall wird man dem deutschen Steuerzahler kaum erklären können, dass er nicht nur Milliarden für seine Banken, sondern auch noch weitere Milliarden für Griechenland bereitstellen soll.
Was aber ist dann die Alternative? Einfache Auswege sieht niemand mehr. Die Finanzkrise hat inzwischen eine Dynamik gewonnen, dass selbst hartgesottene Krisenmanager nicht mehr folgen können. Was bisher an Krisenplänen in den Schubladen lag, ist längst überholt. In deutschen Kreisen ist bereits von einem Plan C die Rede, ohne dass man wirklich sagen könnte, wie dieser aussehen könnte. Die Ultima Ratio wäre wohl, dass die Eurozone sich auf seine Kernländer wie Deutschland und Frankreich reduziert, anstatt das Schutzschild zu erweitern, wie es mancher so gern hätte. Am Ende würde ein weitaus kleinerer Währungsraum mit Ländern stehen, die tatsächlich die vorgegebenen Kriterien erfüllen, die im Maastrichter Vertrag vorgegeben waren. Denn jetzt zeigt sich, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt so falsch nicht ist. Nur Staaten mit einer in den Grundzügen soliden Finanz- und Wirtschaftspolitik sind gegen den jetzigen Orkan an den internationalen Finanzmärkten noch gefeit.
Was als Immobilienkrise in den USA begann, sich dann in der globalen Bankenwelt wie eine Seuche ausbreitete, erreicht nun souveräne Staaten. Ungarn und die Ukraine wollen jetzt vom Internationalen Währungsfonds gestützt werden. Und auch Euroländer zittern.
Als Dominique Strauss-Kahn im November 2007 an die Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) trat, da gab es kaum jemanden, der den früheren französischen Finanzminister um seinen Job beneidete. Das hatte nicht etwa damit zu tun, dass der Ruf des IWF als Feindbild aller Globalisierungsgegner weiter gelitten hätte. Nein, es war viel schlimmer: Der Fonds galt inzwischen als völlig irrelevant, denn dem IWF waren schlichtweg die Kunden weggelaufen. Kaum noch ein Staat weltweit rief nach der Einsatz der Feuerwehrtruppe aus Washington. Zu gut schien es der Weltwirtschaft zu gehen, als dass irgendjemand noch den erniedrigenden Gang nach Washington würde antreten müssen.
Jetzt stehen sie Schlange. Island, Ungarn, Ukraine, Pakistan – ein Land nach dem anderen klopft beim IWF an, um sich eine Milliardeninfusion abzuholen. Nicht einmal Weißrussland unter seinem erzreaktionären Präsidenten Lukaschenko scheut sich, die Bretton-Woods-Institution um Hilfe zu bitten.
Und es werden noch mehr werden. Die Finanzkrise hat ihre dritte große Etappe erreicht. Was als Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten begann, sich dann in der globalen Bankenwelt wie eine Seuche ausbreitete, erreicht nun die souveränen Staaten. Auch sie können sich nicht mehr gegen den Herdentrieb an den internationalen Finanzmärkten wehren. Alle Länder, die eine negative Leistungsbilanz ausweisen, grob gesagt also mehr Waren und Dienstleistungen importieren als exportieren, drohen in die Bredouille zu geraten. Rumänien gilt als nächster Kandidat. Und sogar Länder in der Eurozone wie Griechenland oder Spanien könnten Turbulenzen bevorstehen.
Denn niemand will mehr das Loch in der Bilanz finanzieren. „Die Akteure an den Finanzmärkten beginnen jetzt ein neues Spiel“, sagt Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI). „Nach den Banken fassen sie nun erste Länder ins Auge und spekulieren dabei auf die Reaktion der Politik.“
Private Kapitalzuflüsse sind gestoppt
Die privaten Kapitalzuflüsse in die aufstrebenden Volkswirtschaften sind abrupt gestoppt, die Milliarden fließen so schnell ab, wie sie die ausländischen Banken, Fonds und Investoren nur abziehen können. Jeden Tag gibt es neue Beweise, dass die Märkte verrückt spielen. Wer sich am Montag gegen einen Ausfall auf russische Staatsschulden versichern wollte, musste dafür mehr zahlen als für Kreditversicherungen gegen einen Konkurs Kolumbiens oder Panamas. Und das, obwohl das Land Ende August dieses Jahres noch über Devisenreserven von 568 Milliarden Euro verfügte. „Der Angstfaktor kennt keine Grenzen mehr“, sagt ein IWF-Ökonom, der schon die Russland- und die Asienkrise vor zehn Jahren genau verfolgt hat. „Es finden die gleichen Prozesse wie damals statt. Nur dass es diesmal weltweit passiert.“
Doch längst sind es nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen, die es trifft. Die Einschläge rücken immer näher an die Eurozone heran. Galt Island noch als Ausnahmefall, als es vor knapp einen Monat de facto den Staatsbankrott erklären musste, so erreichte die Krise mit Ungarn die erste Volkswirtschaft in der Europäischen Union. Auch die baltischen Staaten sind extrem abhängig von ausländischen Krediten, so dass Zahlungsprobleme programmiert sind. Und mit Dänemark musste die Europäische Zentralbank am Montag ein Nachbarland gleich mit zwölf Milliarden Euro unterstützen, damit die Regierung das heimische Bankensystem am Leben halten kann.
Der Euro wirkt wie ein Klebeband
Angesichts der dramatischen Entwicklung lässt sich leicht vorstellen, was im Europäischen Währungsverbund los wäre, wenn es den Euro nicht gäbe. Einhellig sind Ökonomen der Meinung, dass die D-Mark in die Höhe geschossen wäre, während gerade die Währungen der Mittelmeerländer kräftig unter Druck gerieten. Doch das ist nun nicht mehr möglich. Der Euro wirkt wie ein Klebeband, das den Kollaps eines seiner Mitglieder weitaus unwahrscheinlicher macht: „Der Zusammenhalt in der Währungsunion sorgt für einen stützenden Effekt“, sagt Klaus Abberger vom Ifo-Institut in München. So krisenresistent scheint die Eurozone bislang, dass in ihren Hauptstädten bereits darüber nachgedacht wird, ob nicht kurzerhand die Eurozone erweitert werden könnte. Denn dann wären beispielsweise Währungsspekulationen gegen Dänemark oder die baltischen Staaten ausgeschlossen.
Doch den Zentralbankern im Eurotower und der Deutschen Bundesbank läuft bei solchen Szenarien der Angstschweiß über die Stirn: „Wir sind nicht die Lösung des Problems“, heißt es in Notenbankkreisen, „sondern wir haben selbst eins. Wir sind nicht dafür da, die Politik-Defizite auf nationaler Ebene zu kompensieren.“
Dabei ist es keinesfalls der drastische Fall des Eurokurses in den vergangenen Wochen, der den Notenbankern Sorgen bereitet. Angesichts fallender Ölpreise sind die Inflationsgefahren weitaus geringer geworden, so dass ein Verfall der Wechselkurse kaum schmerzt. Vielmehr ist es der Blick in die Zahlungsbilanzen, der die Krisenangst schürt. Ein Land wie Griechenland kam in den vergangenen zwölf Monaten auf ein Leistungsbilanzdefizit von 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 67,2 Milliarden Dollar an Kapitalzuflüssen benötigte das Land, um seine Importe zu finanzieren. Eine nicht mehr haltbare Summe: Zuletzt soll die Regierung dem Vernehmen nach bereits Schwierigkeiten gehabt haben, auslaufende Altschulden zu refinanzieren. Auch in Spanien und Belgien sieht es mit einem Minus von knapp zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt denkbar düster aus.
Die Sorgen sitzen tief
Doch was passiert, wenn eine Volkswirtschaft wie Griechenland auf einmal in eine ähnliche Situation geraten sollte wie zuletzt die isländische? Niemand will offen darüber reden. Doch sind Finanzminister und Notenbanker der Eurozone zutiefst besorgt über diesen Ernstfall. Zwar gibt ihnen der EG-Vertrag eine eindeutige Handlungsanleitung vor: Danach darf die EZB keinem Staat der Eurozone zur Hilfe eilen, wenn der Bankrott droht. Doch niemand glaubt mehr ernsthaft daran, dass man einen Staat fallen lassen könne, wenn man nicht einmal eine amerikanische Investmentbank oder eine deutsche Landesbank in den Abgrund gehen lassen kann.
Wenn aber die Notenbank nicht einspringen darf, bleiben Kredite vom IWF – und der anderen europäischen Staaten. Doch ist das realistisch? Im Ernstfall wird man dem deutschen Steuerzahler kaum erklären können, dass er nicht nur Milliarden für seine Banken, sondern auch noch weitere Milliarden für Griechenland bereitstellen soll.
Was aber ist dann die Alternative? Einfache Auswege sieht niemand mehr. Die Finanzkrise hat inzwischen eine Dynamik gewonnen, dass selbst hartgesottene Krisenmanager nicht mehr folgen können. Was bisher an Krisenplänen in den Schubladen lag, ist längst überholt. In deutschen Kreisen ist bereits von einem Plan C die Rede, ohne dass man wirklich sagen könnte, wie dieser aussehen könnte. Die Ultima Ratio wäre wohl, dass die Eurozone sich auf seine Kernländer wie Deutschland und Frankreich reduziert, anstatt das Schutzschild zu erweitern, wie es mancher so gern hätte. Am Ende würde ein weitaus kleinerer Währungsraum mit Ländern stehen, die tatsächlich die vorgegebenen Kriterien erfüllen, die im Maastrichter Vertrag vorgegeben waren. Denn jetzt zeigt sich, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt so falsch nicht ist. Nur Staaten mit einer in den Grundzügen soliden Finanz- und Wirtschaftspolitik sind gegen den jetzigen Orkan an den internationalen Finanzmärkten noch gefeit.
Kommentare
Gäbe es einen einzigen Politiker in der Eurozone, der sich an die
Ultima Ratio herantraute? Man kann
dies bezweifeln und deshalb
annehmen, daß der EURO überall dort, wo es ihn schon gibt, erhalten bleibt.
Hoffentlich werden nicht weitere
Länder in die Eurozone aufgenommen!
Alle können nicht durch wenige
gerettet werden.